Mit Ihrem Kind über seine XXY (Klinefelter)-Diagnose reden

 

Viele Eltern fragen sich, wie und wann sie ihrem Sohn die Diagnose XXY-Syndrom, allgemein unter Klinefelter-Syndrom bekannt, mitteilen. Dieser Leitfaden bietet einige Vorschläge, wie Sie mit ihrem Sohn über XXY reden.


Warum ist es wichtig, über die Diagnose zu reden?
Es gibt viele Gründe, weshalb ein Gespräch über die Diagnose für Ihren Sohn und Ihre Familie wichtig ist:

  • Kinder mit XXY müssen sich häufig frühzeitig Herausforderungen durch Sprache, Lernen und sozialen Situationen stellen. Sie könnten Unterschiede zu Gleichaltrigen fühlen. Mit dem Wissen über seine Diagnose kann Ihr Kind seine Andersartigkeit verstehen und akzeptieren.
  • Ihr Kind sollte die Diagnose von Ihnen, oder von einer professionellen Unterstützung (wie einem Arzt, Therapeut oder Genetikberatung) mit ihnen zusammen erfahren. Ihr Sohn kann dann Fragen und Sorgen bei Ihnen ansprechen, wenn sie ihm in den Sinn kommen. Sonst könnte Ihr Kind von der Diagnose zufällig erfahren. Beispielsweise könnte er zufällig ein Gespräch mithören oder von einem im Gesundheitswesen tätigen Fachmann Bescheid bekommen, bzw. von einem Lehrer, der annimmt, dass Ihr Kind bereits davon weiß. Es könnte sich verraten fühlen, und das kann Missverständnisse verursachen.
  • Kinder sind intuitiv und bemerken oft, wenn vor ihnen etwas verborgen wird. Sie könnten sich etwas viel schlimmeres als ihre Diagnose vorstellen, etwa dass sie oder ein Familienmitglied eine schwerwiegende Krankheit haben.
  • Geheimnistuerei oder die Ablehnung, über die Diagnose zu sprechen, könnten das Kind Gefühle entstehen lassen, dass XXY etwas beschämendes und peinliches sei. Wenn Ihr Kind bemerkt, dass Sie sich unwohl dabei fühlen, wenn über XXY geredet wird, vermeidet es möglicherweise Fragen. Stattdessen könnte es Informationen aus Quellen herausfinden, die unzuverlässig oder gefährlich sind.
     

Häufige Bedenken der Eltern
Es ist normal für Eltern, Bedenken dagegen zu haben, dem Kind seine Diagnose mitzuteilen. Sie mögen beunruhigt sein, dass …

  • Ihr Kind denkt, es sei anders oder dass etwas falsch mit ihm ist.
  • Sie wissen nicht genug über XXY, um es korrekt zu erklären oder die Fragen zu beantworten.
  • Ihr Kind benutzt die Diagnose als eine Ausrede.
  • Sie kann Ihr Kind erregen, verschrecken oder wütend machen.
  • Ihr Kind versteht die Informationen nicht.
  • Ihr eigenen Gefühlsregungen behindern Sie dabei, mit Ihrem Kind über die Diagnose zu reden.
  • Ihr Kind wird nicht verstehen, wann es ok ist mit anderen über seine Diagnose zu reden.
  • Sie tun sich schwer damit, über sensible Themen wie Lernbehinderungen, Unterschiede in der Pubertät oder Fruchtbarkeit zu reden.
     

Wie wird mein Kind reagieren?
Die Reaktion auf die Diagnose hängt von der Reife, Persönlichkeit und den Symptomen Ihres Kindes ab. Bedenken Sie, dass sich die Empfindungen Ihres Sohnes der Diagnose gegenüber mit der Zeit ändern mögen. Ihr Sohn könnte …

  • sich erleichtert fühlen
  • wissen wollen, wer es noch weiß, oder wann die Diagnose gemacht wurde
  • Zeit brauchen, um darüber nachzudenken
  • eine neutrale Reaktion zeigen, uninteressiert erscheinen als sei das „keine große Sache“
  • traurig oder wütend sein
  • verwirrt sein
  • sich besonders fühlen oder denken, es sei ''cool''
  • sich fragen, warum das ihm passiert
  • Sie dabei beobachten, wie Sie sich dabei fühlen
  • Fragen darüber stellen, was die Diagnose bedeutet und wie es seine Zukunft beeinflussen wird
  • eine emotionale Antwort durch sein Verhalten oder Handlungen geben
  • eine verzögerte Reaktion zeigen. Oder weitere Fragen kommen erst später.
  • auf verschiedene Aspekte der Diagnose unterschiedlich reagieren. Beispielsweise könnte ihr Sohn wegen der Hormonbehandlung beunruhigt sein, aber gleichzeitig erleichtert zu wissen, warum er soziale oder schulische Schwierigkeiten hat.
     

Wann ist der richtige Zeitpunkt?
Viele Eltern fragen sich, wann der „richtige Zeitpunkt“ ist, um die Diagnose anzusprechen. Hier sind ein paar Betrachtungen darüber, wann Sie ein Gespräch über XXY mit Ihrem Sohn beginnen sollten. Behalten Sie im Hinterkopf, dass es kein spezifisches „richtiges“ Alter gibt, und jedes Kind verschieden ist.

  • Bedenken Sie, dass es wahrscheinlich keinen ''perfekten Zeitpunkt'' gibt.
  • Für Kinder, die vor der Geburt oder im Kleinkindalter diagnostiziert wurden, kann es angemessen sein, die Diagnose erstmalig im Alter von etwa 4 oder 5 zu erwähnen. Für Buben, die in der Kindheit oder im Jugendalter diagnostiziert wurden, könnte die Aussprache zum Diagnosezeitpunkt beginnen.
  • Selbst wenn Ihr Sohn zu jung ist, kann es hilfreich sein, von Zeit zu Zeit ein wenig über XXY zu reden, im Hinblick auf sein Alter und Symptome. Zum Beispiel, wenn er Sprachtherapie erhalten wird oder Schwierigkeiten dabei hat, etwas Neues zu lernen.
  • Ihr Sohn sollte sich über seine Diagnose im Klaren sein, bevor die Pubertät beginnt und er die Testosterontherapie benötigen wird.
  • Versuchen Sie besser, einen beiläufigen Zeitpunkt für eine Aussprache zu finden statt daraus ein Ereignis zu machen, wie zu einem Abendessen zu gehen oder ein besonderes Outing anzustreben.
     

Weitere Gelegenheiten, XXY zu besprechen, beinhalten:

  • Wenn er Herausforderungen beim Lernen oder in sozialen Situationen erfährt
  • Wenn er es selbst anspricht
  • Sich auf Termine vorbereiten (Kinder- oder Facharzt, Therapeut)
  • Wenn er Medikamente oder Behandlungen benötigt
  • XXY-Konferenzen oder Familientreffen
  • Wenn er über verwandte Begriffe in der Schule lernt (Chromosomen, menschlicher Körper, Zellen)
     

Vorbereitung auf das Gespräch
Informieren Sie sich über XXY vor dem Gespräch mit Ihrem Kind. Suchen Sie Antworten auf Ihre eigenen Fragen von Ärzten, andern Eltern und zuverlässigen Websiten und Büchern. Dies kann dazu beitragen, dass Sie sich sicher fühlen, wenn Sie mit Ihrem Sohn reden.

Kinder bekommen oft die Emotionen ihrer Eltern mit. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen, und arbeiten Sie sie durch Ihre eigenen Gefühle über die Diagnose, und wenn Sie mit Ihrem Kind darüber reden werden. Sie könnten Unterstützung annehmen von Familienmitgliedern, Freunden, einem Fachtherapeut, Selbsthilfegruppen oder weitere Gruppen von Eltern mit XXY-Kindern.

Ziehen Sie in Betracht, mit Ihrem Kinderarzt oder Therapeuten über Ihr Vorhaben zu reden, die Diagnose offenzulegen. Er kann Ratschläge über altersgerechte Wege geben, mit Ihrem Sohn zu reden. Ein Fachmann im Gesundheitswesen kann ebenfalls dabei behilflich sein, die Diagnose Ihrem Kind mitzuteilen, oder über Ihr Kind über spezifische Aspekte der Veranlagung zu reden.

Wenn Ihr Kind mehr als ein Elternteil oder Betreuer hat, besprechen Sie gemeinsam rechtzeitig, wie und wann Sie mit Ihrem Sohn über die Diagnose reden wollen.

Was soll ich sagen?
Die einzigartigen Bedürfnisse Ihres Sohnes und der Kommunikationsstil in Ihrer Familie beeinflussen, wie sie die Diagnose mit Ihm besprechen. Folgendes gilt es zu berücksichtigen:

  • Sagen Sie es einfach – die meisten Kindern brauchen minimale Informationen am Anfang. Bedenken Sie, dass viele Buben mit XXY rasch überfordert sein können, wenn die Information zu rasch oder in zu komplizierter Sprache dargelegt wird.
  • Seien Sie ehrlich und direkt. Geben Sie keine falschen oder irreführenden Informationen, die ihn verwirren können.
  • Behalten Sie eine leichte, ruhige und positive Haltung.
  • Ermutigen Sie Ihr Kind Fragen zu stellen und seine Gefühle oder Gedanken zu teilen, und gestehen Sie ihm dazu, wenn er dafür Zeit braucht.
  • Drücken Sie Unterstützung und Zusicherung aus. Bieten Sie Ihrem Kind an, jegliche Hilfe zu bekommen, die er für die kommenden Herausforderungen benötigen könnte.
  • Setzen Sie die Veranlagung Ihres Sohne in Verbindung mit anderen Unterschieden oder Herausforderungen, die relevant für Ihr Kind oder ihre Familie sind. Beispielsweise könnte die Testosterontherapie verglichen werden mit einem Freund, der Insulin wegen Diabetes benötigt, oder  Schilddrüsenhormonbehandlung.
  • Verwenden Sie Bilder oder andere sichtbaren Hilfestellungen, wenn Sie über komplexe Themen wie Chromosomen oder Testosteron reden.
  • Identifizieren Sie die Stärken und positiven Qualitäten ihres Sohnes. Versuchen Sie außerdem, die guten Dinge seiner Diagnose zu erkennen (etwa, dass es dabei geholfen hat, dass ihr Sohn groß und künstlerisch ist, oder ihn empfindsamer gegenüber anderen gemacht hat).
  • Lassen Sie Ihren Sohn wissen, dass es viele Buben und Männer mit XXY gibt.
  • Es ist in Ordnung, wenn Ihr Kind Fragen hat, die Sie nicht beantworten können. Seien Sie damit zufrieden, Ihrem Kind zu sagen: „Ich weiß es nicht, aber wir können es gemeinsam herausfinden.“
  • Sagen Sie Ihrem Sohn, dass es immer in Ordnung ist, über alles Fragen zu stellen, was er lesen, hören, oder sich fragen könnte. Lassen Sie Ihn wissen, dass viele Dinge über XXY, über die er liest oder hört, falsch sein könnten.
  • Helfen Sie Ihrem Sohn dabei, geeignete Orte zu finden, wo er Informationen über seine Diagnose bekommen könnte, wie etwa sein Arzt, sichere Websiten oder Bücher. Ermutigen Sie ihn dazu, Sie auf zweifelhafte Informationen aufmerksam zu machen.
     

Altersbezogene Hinweise
Bedenken Sie, dass Sie nicht über alles auf einmal reden müssen. Die Themen, die Sie besprechen, und die Worte, die Sie wählen, hängen vom Alter und Erfahrungen des Kindes ab.

Vorschulzeit - Kindergarten
Erklären Sie, dass Körper und Gehirn Ihres Sohnes etwas unterschiedlich im Vergleich zu anderen Kindern gemacht wurden, und dass dies bedeutet, dass er öfters Hilfe (z.B. Sprachtherapie) benötigen könnte oder dass manche Dinge für ihn schwerer sind als für andere Kinder.

Schulzeit
Beginnen Sie, über Chromosomen und Gentik zu reden, stellen Sie mehr Details zur Verfügung als Ihr Sohn darüber in der Schule lernen wird.  Wiederholen Sie, dass manche Informationen, die er in der Schule lernt, falsch sein könnten, und dass er mit Ihnen redet, wenn er Fragen hat. Versichern Sie Ihrem Kind, dass XXY eine Veranlagung ist, mit der man geboren wird. Es handelt sich nicht um eine Krankheit, und es ist nicht ansteckend oder tödlich.

Teenager- Erwachsenenalter
Reden Sie mit Ihrem Sohn über seine Gefühle bezüglich Outing gegenüber Freunden oder in Beziehungen. Sprechen Sie das Thema Fruchtbarkeitsprobleme an, die mit XXY verbunden sind (siehe unten). Besprechen Sie Wege, wie Ihr Sohn proaktiv und in seine Gesundheitsvorsorge miteinbezogen werden kann. Ermutigen Sie ihn, seinem Arzt Fragen zu stellen.

Begrifflichkeit
XXY-Syndrom kann durch verschiedene Begriffe beschrieben werden, wie etwa Klinefelter-Syndrom, KS oder 47,XXY-Syndrom. All diese Begriffe beschreiben dieselbe Veranlagung. Jede Familie und jedes Kind kann verschiedene Begriffe bevorzugen, um seine Veranlagung zu beschreiben. Welchen Begriff Sie auch vorziehen, bleiben Sie am besten konsistent, wenn sie die Diagnose mit Ihrem Sohn besprechen, um Verwirrung zu vermeiden.

Über Privatsphäre reden
Es ist wichtig, mit Ihrem Kind darüber zu reden, wer dafür geeignet ist, die Diagnose zu erfahren, und wer nicht. Sagen Sie Ihrem Kind, dass die Offenlegung der Diagnose eine persönliche Entscheidung ist, die von ihm und seiner Familie getroffen wird. Viele Menschen werden nicht verstehen, was XXY bedeutet.

Über Genetik und Chromosomen reden
Chromosomen und Gene können als „Anleitungen (oder Botschaften)“ für den Körper erklärt werden, oder als „Seiten in einer Bedienungsanweisung“. XXY wird verursacht durch „zusätzliche Anweisungen“ oder „zusätzliche Seiten“. Es ist wichtig zu betonen, dass XXY etwas ist, das „einfach geschieht“, und dass er damit geboren wurde, niemand ist ein Verursacher für das, was Ihr Sohn hat. Vermeiden Sie Worte wie „Fehler“, „Unfall“ oder „Mutation“, um diese Veranlagung zu beschreiben.

Seien Sie vorsichtig, wenn sie die Begriffe „Geschlechtschromosomen“ oder „Geschlechtschromosomen-Abnormalität“ verwenden. Ihr Sohn kann diese Begriffe mit eine „Geschlechtsabnormalität“ haben verwechseln. Ältere Buben oder Heranwachsende sollte versichert werden, dass ihre Diagnose nicht die Unfähigkeit zum Geschlechtsverkehr impliziert.

Über Unfruchtbarkeit reden
Betonen Sie so früh wie möglich die verschiedenen Möglichkeiten, Familien zu gründen, wie etwa über Adoption oder Spenderspermien. Sprechen Sie spezielle Fragen und Sorgen an, die Unfruchtbarkeit betreffen, sobald Ihr Sohn reifer wird. Bis zum Heranwachsenenalter zu warten, ehe man Fruchtbarkeit anspricht, ist angemessen. Teenager sollten darüber informiert sein, dass Verhütung weiterhin notwendig ist, um sich vor sexuell übertragbaren Krankheiten zu schützen.

Denken Sie daran:
Über eine Diagnose zu sprechen bleibt kein einmaliges Ereignis. Es ist ein Prozess, der allmählich mit der Zeit geschieht. Jedes Kind mit XXY ist unterschiedlich hinsichtlich seiner Bedürfnisse, Verständnis, Kommunikation und Bewältigungsstrategien. Sie kennen Ihr Kind am besten. Ziehen Sie für das Diagnosegespräch mit Ihrem Sohn professionelle Hilfe in Betracht, etwa vom Kinderarzt, Therapeut oder anderen Fachleuten aus dem Gesundheitswesen.