INFORMATIONEN ZUM KLINEFELTER-SYNDROM



Karotyp 47,XXY


Der Begriff Klinefelter-Syndrom (gesprochen: Kleinfelter) bezeichnet die Auswirkungen einer besonderen Chromosomenkonstellation: unter den männlichen Neugeborenen und der männlichen Bevölkerung weisen etwa 0,15 % den Chromosomensatz des Klinefelter-Syndroms auf. Für Österreich bedeuten diese Zahlen, dass hier rund 16.578 Jungen und Männer mit Klinefelter-Syndrom unter uns leben.
(Stand 2021)

Wie es zu der Fehlverteilung der Chromosomen kommt, ist noch nicht geklärt. Manche Menschen bezeichnen das Klinefelter-Syndrom als "Laune der Natur". Andere sprechen von einem "XXY-Zustand".

Unter dem Klinefelter-Syndrom versteht man die Folgen einer Fehlverteilung der Chromosomen, die ausschließlich das männliche Geschlecht betreffen. Normalerweise besteht der Chromosomensatz des Mannes, der in jeder Körperzelle zu finden ist, aus 23 Chromosomenpaaren. Es handelt sich um 22 Autosomen Paare und zwei Gonosomen (X,Y).

Da das männliche Y-Chromosom über das weibliche X-Chromosom dominiert, entwickelt ein Embryo mit X- und Y-Chromosom männliche Geschlechtsorgane, es wird also ein Junge. Der männliche Karyotyp, die medizinische Beschreibung der chromosomalen "Ausrüstung", ist 46,XY. Mädchen beziehungsweise Frauen besitzen zwei X-Chromosomen, ihr Karyotyp ist als 46,XX.

Bei Menschen mit Klinefelter-Syndrom liegt, wie gesagt, eine Chromosomenfehlverteilung vor, ihre Körperzellen besitzen nicht nur den normalen männlichen Chromosomensatz mit 23 Chromosomenpaaren und je einem männlichen und einem weiblichen Geschlechtschromosom, sondern ein oder mehrere zusätzliche X-Chromosomen. Am häufigsten ist der Karyotyp 47,XXY.

Wie sich diese Chromosomenstörung auswirkt, hat der amerikanischen Arzt Harry F. Klinefelter 1942 erstmals beschrieben. Die von ihm beobachteten neun Patienten litten unter spärlicher Körperbehaarung, besaßen weibliche Brüste, ihre Hoden und ihr Penis waren auffällig klein und sie konnten kein Sperma produzieren. Dass ein überschüssiges X-Chromosom für die Symptome verantwortlich ist, wurde allerdings erst 1959 entdeckt.

Anfang der 70er Jahre wurde dann eine Vielzahl von Neugeborenen genetisch untersucht. Man stellte fest, dass etwa eines von Tausend männlichen Babys mit dem Karyotyp XXY zur Welt kommt und es sich somit um eine der häufigsten chromosomalen Störungen handelt. Viele Menschen besitzen also die genetische Grundlage für ein Klinefelter-Syndrom, doch längst nicht jeder leidet unter den charakteristischen Symptomen. "Ich würde bei Neugeborenen mit XXY-Chromosomensatz nie von vorn herein behaupten, sie wären Klinefelter-Patienten" erklärte Arthur Robinson, Kinderarzt an der Universität von Colorado und Leiter einer der größten Studien. "Wahrscheinlich werden einige von ihnen das von Dr. Klinefelter beschriebene Syndrom entwickeln, einige aber auch nicht.

Welche Ursache hat das Klinefelter-Syndrom?
In jeder einzelnen Zelle eines gesunden Menschen befinden sich 23 Chromosomenpaare, also 46 Chromosomen, in denen das gesamte Erbgut verschlüsselt ist, plus zwei Geschlechtschromosomen. Die Ausnahme bilden die Zellen, die der Fortpflanzung dienen, also Samen- und Eizelle. Bei ihnen teilt sich in ihrer Entwicklung der doppelte (diploide) Chromosomensatz in zwei Hälften. Sie besitzen nur einen einfachen (haploiden) Chromosomensatz, also 23 Chromosomen und entweder ein X- oder ein Y-Chromosom. Dieser Teilungsvorgang wird Meiose genannt. Ei- und Samenzelle verschmelzen dann bei der Befruchtung, und der Embryo verfügt wieder über die volle Chromosomenzahl - eine Hälfte von der Mutter und die andere vom Vater.

Ursache des Klinefelter-Syndroms ist eine Störung während der Meiose der Fortpflanzungszellen: Die beiden Geschlechtschromosomen trennen sich nicht. Beim Mann resultiert dann ein Spermium mit X- und Y-Chromosom, bei der Frau eine Eizelle mit zwei X-Chromosomen. Wenn sich nun bei der Befruchtung entweder ein XY-Spermium mit einer normalen X-Eizelle oder eine XX-Eizelle mit einem normalen Y-Spermium vereinigt, kommt ein Junge mit dem Karyotyp XXY zur Welt.

Warum es bei der Chromosomenteilung zu einer Störung kommt, ist nicht bekannt. Zwar wurde in Studien belegt, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Klinefelter-Syndrom zu gebären, mit dem Alter der Schwangeren steigt, die Erhöhung ist jedoch eher unbedeutend. In der Hälfte der Fülle kommt das Extra-Chromosom vom Vater, in der anderen Hälfte von der Mutter.

Wie äußert sich das Klinefelter-Syndrom?
Die bereits von Klinefelter beschriebenen typischen Symptome der Erkrankung sind in erster Linie Resultat eines Testosteronmangels. Das zusätzliche X-Chromosom führt zu einer Störung der Hodenfunktion, die in Folge dessen zu wenig Testosteron bilden. Testosteron ist das wichtigste männliche Geschlechtshormon, ein Mangel hat deshalb vor allem Folgen für die geschlechtliche Entwicklung.

Mit der Pubertät steigt bei Jungen normalerweise die Testosteronproduktion an und führt zu Vermännlichung des Körpers. Die Stimme wird tiefer, Scham-, Brust- und Achselhaare beginnen zu wachsen, die Geschlechtsteile werden größer. Die Folgen des Hormonmangels machen sich deshalb in der Pubertät am stärksten bemerkbar. Aus diesem Grund wird die Erkrankung oft erst in diesem Alter diagnostiziert. Jungen mit Klinefelter-Syndrom sind am Körper nur spärlich oder meist gar nicht behaart, ihr Penis und ihre Hoden sind auffällig klein. Da kein oder nur wenig Sperma produziert wird, sind die Betroffenen in der Regel unfruchtbar. Trotzdem lohnt es sich, die Fertilität beim Arzt überprüfen zu lassen, denn es gibt auch XXY-Männer, die Kinder gezeugt haben.

Außerdem hat Testosteron die wichtige Aufgabe, den Verschluss der Wachstumszonen an den Knochen auszulösen und so das Größenwachstum zu beenden. XXY-Betroffene sind deshalb oft auffällig groß. Typisch ist auch eine so genannte Gynäkomastie: Die Jungen entwickeln weibliche Brüste. Da das Hormon zudem den Muskelaufbau fördert, ist der Körper der Patienten eher rundlich, sie neigen zu Übergewicht.

Über die Auswirkungen auf Gehirn und Nervensystem wurde lange kontrovers diskutiert. Mittlerweile geht man davon aus, dass Klinefelter-Patienten in der Regel normal intelligente Menschen sind. Allerdings scheint das Risiko einer Minderung der intellektuellen Fähigkeiten mit der Zahl der Überzähligen Chromosomen anzusteigen. Trotzdem fallen viele XXY-Kinder durch Probleme in der Schule auf. Die Lernstörung ist jedoch Folge der Schwierigkeiten mit der Sprache, unter denen 70 Prozent der Betroffenen leiden. Ein erstes Zeichen kann sein, dass die Kleinen später sprechen lernen als ihre Altersgenossen. In der Schule tun sie sich oft beim Lesen und Schreiben schwer.

Je mehr überschüssige Chromosomen die Klinefelter-Patienten besitzen, desto deutlicher und ausgeprägter treten sowohl die körperlichen als auch die geistigen Symptome zu Tage.

Nein, die Chromosomenstörung des Klinefelter-Syndroms lässt sich nicht korrigieren. Die Auswirkungen dieser Störung, wie beispielsweise die Folgen des Testosteronmangels, lassen sich jedoch gut behandeln.

Insgesamt muss gesagt werden, dass die Ausprägung des Syndroms von Fall zu Fall sehr verschieden sein kann, allgemeingültige Aussagen zum Klinefelter-Syndrom lassen sich daher nur schlecht treffen.

Wie wird das Klinefelter-Syndrom diagnostiziert?
Den ersten Verdacht hat der Arzt manchmal dann, wenn die Eltern ihm schildern, dass ihr Kind Probleme mit sprachlichen Dingen hat. Oft fällt das Syndrom aber erst auf, wenn der Mangel an Testosteron sich auch körperlich bemerkbar macht, also in der Pubertät.

Dann wird der Spiegel verschiedener Geschlechtshormone im Blut überprüft: Zu wenig Testosteron und zu viel weibliche Geschlechtshormone sind typisch bei Patienten mit Klinefelter-Syndrom, können aber auch andere Ursachen haben. Endgültige Sicherheit bringt dann ein Gentest, bei dem man das überschüssige Chromosom nachweist.

Wie wird das Klinefelter-Syndrom behandelt?
Hier gilt vor allem ein Prinzip: Je früher das Syndrom entdeckt wird, desto besser der Therapieerfolg. Mit Beginn der Pubertät bekommen die Betroffenen das fehlende Testosteron "von außen" ersetzt. Regelmäßige Hormontherapie leiten die Vermännlichung ein, der Körper wird muskulöser, die Körperbehaarung nimmt zu und die Jungen zeigen ganz normales sexuelles Interesse.

Klinefelter-Betroffene sind ein Leben lang auf die Gabe von Testosteron angewiesen. Um die Dosis festzulegen, kontrolliert der behandelnde Arzt regelmäßig den Hormonspiegel.

Hilfe bei den sprachlichen Schwierigkeiten ist sehr wichtig, damit diese einer normalen schulischen und beruflichen Entwicklung nicht im Wege stehen.

Viele Betroffene leiden vor allem psychisch unter der "eingeschränkten" Männlichkeit. Hier könnte die Selbsthilfegruppe oder eine psychotherapeutische Behandlung sehr hilfreich sein. Nicht nur aus optischen Gründen, sondern auch wegen des deutlich erhöhten Brustkrebsrisikos, wird bei Patienten mit Gynäkomastie die Brust operativ entfernt.

Wie erfolgreich ist die Klinefelter-Therapie?
Da die Medizin sich erst seit den 1970ern auch wissenschaftlich mit dem Klinefelter-Syndrom beschäftigt, weiß man nur wenig über den langfristigen Verlauf des Syndroms. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die Chromosomenstörung die Lebenserwartung nicht beeinflusst.

Die für kaum jemanden leichte Zeit der Pubertät ist für XXY-Menschen oft noch ein bisschen schwerer, viele leiden sehr unter den Problemen mit der sexuellen Identität - und vor allem unter dem Wissen darum. Denn durch regelmäßige Hormoninjektionen sowie begleitende psychosoziale Betreuung wird der "kleine Unterschied" nicht nur weniger offensichtlich, sondern verliert an Bedeutung.

Die meisten Klinefelter-Betroffenen führen ein ganz normales glückliches Leben, leben mit einem Partner und haben beruflichen Erfolg.

Gibt es Möglichkeiten zur Klinefelter-Früherkennung?
Mit Hilfe einer Fruchtwasseruntersuchung kann man mit genetischen Methoden bereits im Mutterleib den Karyotyp des Embryos bestimmen.

Wegen des Risikos für das Ungeborene ist diese so genannte vorgeburtliche (pränatale) Diagnostik nur dann üblich, wenn die Mutter bereits ein Kind mit Klinefelter-Syndrom zur Welt gebracht hat.

Klinefelter-Syndrom Österreich hat sich deshalb auch zum Ziel gemacht, durch Aufklärung und Information von Ärzten, Krankenhäusern, genetischen Beratungsstellen usw. auf diese falschen Informationen hinzuweisen.

Weitere Informationen und Broschüren können bei uns angefordert werden.

Wir pflegen Kontakt zu andere Gruppen, Vereine zum Thema "Klinefelter-Syndrom" auf der ganzen Welt.